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Thomas Blubacher. Das Haus am Waldsängerpfad. Wie Friedrich Wistens Familie in Berlin die NS-Zeit überlebte

Berenberg Verlag
 
Heinz Knoblochs Eröffnung seines Moses-Mendelssohn-Buchs mit der Mahnung „Misstraut den Grünflächen!“ und dem klugen amerikanischen Appell „Dig, where you stand! “ haben wir noch im Ohr als Aufforderung, historische Forschung in der Nähe zu beginnen. Hier müsste man sagen: „Mach die Augen auf und sieh!“. Da steht das verwirrende, so eigenwillige wie schöne Haus im Waldsängerpfad Nr. 3, nahe dem Nikolassee. Von dem Kauf wurde abgeraten: „Es wird ihnen nicht gefallen, es ist so entartet.“ Große Köpfe des Bauhauses hatten es gebaut und eingerichtet: Peter Behrens und Marcel Breuer. Der Bauherr, der Psychologe Kurt Levin, unterbrach seine Rückreise von einer Gastprofessur in den USA, als er von der Machtübergabe an Nazis hörte und ließ Berlin Berlin sein. Die Ehefrau des Stuttgarter Theatermannes Fritz Wisten, Trude, erwarb das Haus: Sie und ihr Mann, im Unrechtsjargon der Nazis eine „privilegierte Mischehe“, mit zwei „Mischlingen ersten Grades“, ihren Töchtern Eva und Susanne, zogen ein – in ein Ghetto und eine Rettungsinsel.
Die Nachbarschaft bot Personal für einen Alptraum: „Reichsfrauenführerin“ Scholtz-Klink wohnte in der Nähe, ebenso wie der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, Walter Gross.
Unterdessen war Fritz Wisten in die Leitung des Jüdischen Kulturbundes berufen, der von Nazis
Gnaden jüdisches Theater für das jüdische Berlin spielen durfte. Mit der Pogromnacht 1938 veränderte sich das Leben völlig: Aufführungsverbote, misslungene Emigrationsversuche, Haftaufenthalte, das Leben wurde unaufhaltsam zugeschnürt ...
Am 26. April 1945 erschienen Russen im Berliner Süden – das Atmen wurde wieder leichter. Thomas Blubacher, Schweizer Theaterhistoriker (Monographie über Gustaf Gründgens) dokumentiert auch die Ost-Berliner Theatergeschichte Fritz Wistens, die „Theater“ mit Kollegen und der SED, wobei er immer Grenzgänger blieb, denn er gab das schöne Haus im Waldsängerpfad bis zu seinem Tod 1962 nie auf – ein hausgroßer, diesmal besonders schöner Stolperstein. Da steht er mit blendend weißer Fassade; nun können wir eine bewegende Überlebensgeschichte im „Hausbuch“ lesen. Es gibt Zeugnis vieler Gefühle: Trauer, Geborgenheit, Solidarität und Hoffnung gehörten gewiss dazu - und Zuneigung. 
Helmut Ruppel
 
189 Seiten
20 Euro