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Dorothee König. „Du wirst noch an mich denken“ Liebeserklärung an eine schwierige Mutter

dtv Verlag, München

Die „schwierige“ Mutter der Erzählerin ist Barbara von Dohnanyi; sie ist Tochter von Christine und Hans von Dohnanyi; Christine ist die Schwester Dietrich Bonhoeffers, der mit seinen „Grunewald-Gefährten“ Hans von Dohnanyi, Gerhard Leibholz, Justus Delbrück und seinem Bruder Klaus in dunklen Zeiten für das gute Deutschland stand. Sie waren Freunde im konspirativen Widerstand gegen Hitler und den deutschen Unrechtsstaat. Anders als bei Altaras und Bergmann geht es um eine hochgespannte Familiengeschichte, um Generationen. Dankenswerterweise gibt es dazu am Buchende einen Überblick über einige Personen. Geht es aber um Generationen, geht es um den Anspruch der Deutungsmacht, die Aufrechterhaltung und Weitergabe sozialer Formen („Nein, der Pfarrer wird euch nicht konfirmieren!“), in die sich oft Züge von Überheblichkeit einnisten können, wenn es um die gesellschaftlichen Zusammenhänge geht, wenn jemand dem „geistigen Anspruch nicht genügt.“ Davon gibt es im Buch bedrückende Beispiele. Erziehung wird zur planmäßigen Sozialisation in die eigene Generationenfolge. Das große Wirkungserlebnis im Generationenzusammenhang ist der „Widerstand“ - die Mutter der Erzählerin musste als 16jährige die Verhaftung ihrer Eltern mitansehen und mit 18 Jahren die Hinrichtung ihres Vaters verarbeiten. Dazu sagt man heute „Trauma“ - doch welche Gestalt nimmt ein solches Trauma im Leben der nächsten Generation an? Was bewirken weitergegebene Traumata? „Du wirst noch an mich denken“, der Untertitel des Buches ist vieldeutig: „Einmal wirst du mich verstehen!“, „Einmal wirst du deine heutige Sicht ändern!“, „Werde erst einmal so alt wie ich!“, „Was wisst ihr denn über mein Leben!“ Die Abgrenzungen zu nachfolgenden Generationen sind immer schmerzlich. Aber die Enkelin der ethisch-politisch hochaufragenden Großeltern will von dieser Bedeutsamkeit nicht erdrückt werden! Von der Unnahbarkeit, der Emotionsferne, den fühlbaren Distanzen, nicht im eigenen Leben behindert werden. „Über Gefühle zu sprechen war verpönt!“, resümiert sie bitter. Ob sich hier ein Spalt auftut zu höchst unterschiedlichen emotionalen Identitäten im jüdischen und protestantischen Lebensverständnis? Zwischen der „unbekümmert-eigensinnigen Tante und der verschlossen-schwierigen Mutter“? „Ich wollte meine Mutter besser verstehen!“, lautet ihr leitendes Motiv zum Buch. Diese konfliktreiche „Liebeserklärung an eine schwierige Mutter“ kann durchaus zu einem Identifikationsbuch der „Nachgeborenen“ werden. Haben das andere Kinder auch erlebt? Dorothee Röhrig erzählt im Interview vom „Muttertag“: „Ich erinnere mich gut an die gelben Gartenstühle, um die wir Ketten aus Gänseblümchen drapierten, weil wir in der Schule erfahren hatten, dass man das zum Muttertag so macht.Wir waren so stolz! Und dann diese Abfuhr: „Wisst ihr, Muttertag gab es bei den Nazis“, hörten wir, „Der wird bei uns nicht gefeiert.“ Bei „uns“ gab es keinen Petticoat, keine lackierten Nägel, nicht den kleinsten Knutschfleck … Ach, wären es nur diese Kleinigkeiten … Aber es gab immer den 5. April, an dem 1945 die Großelten verhaftet wurden und sich zum letzten Mal sahen, an dem der Großonkel Dietrich Bonhoeffer von der Gestapo im Haus seiner Eltern im Eichkamp abgeholt wurde, es gab den 9. April, an dem der Großvater erhängt und der Großenkel im KZ Flossenbürg ermordet wurde ...
Ein Buch der erarbeiteten Versöhnung der Generationen. Erstaunlich, nach 1945 hatten nicht die Jungen, sondern die Alten ihre Chance, ob sie Adenauer oder, nicht ganz so alt, Ulbricht hießen, Angehörige der Weimarer Generation. Sie musste verantwortet werden, im Großen wie im Familiären, zum Beispiel zwischen Müttern, Tanten und Töchtern ...

Helmut Ruppel

254 Seiten
24.00 €