Günter de Bruyn. Der neunzigste Geburtstag. Ein ländliches Idyll

S. Fischer Verlag
Der Autor, im Leben wie im Buch der Erzähler, ist Bibliothekar und verbringt seine „alten Tage“ in Wittenhagen, einem märkischen Dorf, mit seiner Schwester, einer APO-Veteranin, deren 90. Geburtstag ansteht. Der sprachbewusste Bibliothekar kann den neuen Marketing- und Digitalslangnicht ertragen und wir hören seinem Nörgeln auf hohem literarischen Niveau genauso gepeinigt zu. Er krümmt sich fast bei Slogans wie „Ehe für alle! Keine Obergrenze!“ und der Mahnung „Wir sind alle Ausländer!“, versteht auch nicht, dass aus der alten Reithalle ein „Climatic Spa“ werden soll. Das Gender-Mainstreaming empfindet er als Zumutung. Dabei spielt de Bruyn mit den Namen: Er selbst heißt Leonhardt Leydenfrost, eine Abgeordnete der neuen Ökopartei heißt Grünlich, eine geistig sehr schmal ausgerüstete Journalistin trägt den Namen Schmalfuß, sie erscheint zu einem Fernsehinterview mit einem „location scout“- genug, genug, er sieht und hört dem allen melancholisch zu, nicht mit allzu viel Ressentiments geladen, eher kopfschüttelnd erheitert. Bezwingend schöne Schilderungen eines Heilig-Abend-Gottesdienstes und eines Ostergottesdienstes zeigen das erzählerisch glänzende Vermögen des 90jährigen. Als gegen Ende noch eine Buchhändlerin aus Berlin-Dahlem ins Erzähl-Spiel eintritt, die treue Lebensgefährtin seines eigentlich „verlorenen Sohnes“ und die legendär gewordene Schwester an ihrem 90. Geburtstag stirbt, verknäueln sich alle Erzählfäden zu einem bunten und sehr schönen Stück Literatur, für das man dem alt und weise gewordenen Günter de Bruyn nur danken kann! Und da ihn mit der Schleichers Buchhandlung eine liebevolle Freundschaft verband, verabschieden wir ihn mit einem Wort des alten Leydenfrost, „... als er ... unvermittelt noch einmal seinen Zitatenschatz bemühte: 'Des Leibes bist du ledig, Gott sei der Seele gnädig'“.
Helmut Ruppel
Helmut Ruppel
272 Seiten
22 Euro
22 Euro