Lew Rubinstein. Ein ganzes Jahr. Mein Kalender

Hrsg. von Susanne Strätling und Georg Witte
Friedenauer Presse
Hebel und Brecht sind die großen Meister deutscher Kalendergeschichten – kunstvoll knapp, überraschend unüblich, verblüffend und verwegen, zwischen Aphorismus und Wälzer die Traumform. Politisch und kapriziös zugleich, das gibt's nur einmal. Kein Heiligenkalender, kein Mondkalender, kein Terminkalender, kein Jahreszeitenkalender, sondern "Ein ganzes Jahr. Mein Kalender". Nur ein Beispiel: „Juni – 18 – 1936. Tod des russischen und sowjetischen Schriftstellers, Dramatikers und der Person des öffentlichen Lebens Maxim Gorki. - Im Schulflur hingen Klassikerporträts, darunter auch Gorki. Gorki hatte einen erstaunlich traurigen und weinerlichen Gesichtsausdruck. Immer wenn Smirnow daran vorbeiging und das Porträt anschaute, sagte: „Nicht weinen, Gorki, nicht weinen. Willst du ein Bonbon?“ Alle lachten bereitwillig. Ich auch.“ So bitterlustig kann ein Bücherbrief nicht enden. Wir beginnen noch einmal mit einer Notiz Anton Tschechows in seiner Erzählung „Das Glück“. Zwei Hirten und ein Aufseher verbringen die Nacht in einer endlosen Steppe. Die Hirten erzählen sich vom Glück, das im Finden, im Aufspüren unvorstellbar großer Goldhaufen besteht. Der Aufseher schweigt; er hat offensichtlich eine andere Vorstellung vom Glück. „Sein strenges Gesicht war traurig und spöttisch, er schien enttäuscht.“ Einmal sagt er über die Möglichkeit des Glücks: „Ja, der Ellenbogen ist nahe, aber versuch mal reinzubeißen."
448 Seiten
32€